#leandesign, #overengineering, #paretoprinzip – Begriffe, die derzeit gefühlt sehr oft auftauchen. Und doch werden viele Projekte weiterhin nach klassischen Mustern geplant: Man orientiert sich an bestehenden Premium-Produkten und versucht, unter fest definierten Zeit- und Budgetvorgaben eine gleichwertige Lösung zu realisieren – ohne Klarheit über das Wesentliche, ohne Spielraum für Unvorhergesehenes.
Warum ist das so?
Vermutlich, weil die dahinterliegenden Prinzipien zwar rational verstanden werden – aber selten durch eigene Erfahrung wirklich verinnerlicht sind.
Für all diejenigen die mit Begriffen wie Lean oder Pareto-Prinzip nichts anfangen können: Das Pareto-Prinzip besagt in etwa, dass meistens 80% des Ergebnisses mit bereits 20% des Aufwandes erreicht sind. Im Umkehrschluss braucht man die restlichen 80% des Aufwandes um die fehlenden 20% des Gesamtergebnisses zu bewältigen.
Das Lean-Prinzip geht einen Schritt weiter. Als Teil einer agilen Planungskultur geht man beim Lean-Design in kleineren Schritten vor, plant zunächst schlank und überprüft das Ergebnis regelmäßig. Mit einem Prototypen der keinen Anspruch auf Vollkommenheit hat, lässt sich die Praxistauglichkeit testen und offenbart unter Umständen fehlende Funktionen an die man nicht gedacht hat, oder merkt dass Funktionen die einem wichtig erschienen irrelevant sind.
Was hat das mit dem Jakobsweg zu tun?
Mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Denn auch auf dem Jakobsweg geht es nicht darum, alles im Voraus zu planen oder sich an einem idealisierten Zielbild zu orientieren. Stattdessen lernt man unterwegs – oft unfreiwillig – was wirklich notwendig ist, was Ballast bedeutet und wie wichtig es ist, regelmäßig Kurs und Tempo zu überprüfen.
Der Blick nach vorne und der verlorene Weg
Am ersten Tag bin ich bestens gelaunt losgelaufen, während ich die Sonne über dem Meer habe aufgehen sehen. Den Ort kannte ich schon ein wenig vom Vorjahr und der Weg an der Küste entlang war wirklich beeindruckend.
Mein Blick war nach vorn gerichtet, Schritt für Schritt, immer weiter, bis ich irgendwann merkte, dass etwas nicht stimmte. Keine Wegmarkierung mehr, kein erkennbarer Pfad. Stattdessen hohes Gras, Dornen, schließlich eine steile Felswand. Ich hatte unbemerkt eine Abzweigung verpasst, einfach weil ich zu sehr im „Tun“ war und zu wenig im „Wahrnehmen“. Ich stand vor der Wahl: den ganzen Weg zurück oder in der Hoffnung auf ein Weiterkommen durchs Gestrüpp und über den Fels. Ich entschied mich für den Fels. Es war anstrengend, ich habe mich überschätzt und kam viel erschöpfter an als es hätte sein müssen – aber es war auch wunderschön. Im Nachhinein würde ich es wahrscheinlich anders machen, irgendwie ressourcenschonender in Anbetracht dessen, was da noch auf mich zu kommt.
Die Neuausrichtung
Am Ende meines ersten Tages auf dem Jakobsweg war ich erschöpft, aber zufrieden. Ich hatte mein Etappenziel erreicht – so dachte ich jedenfalls. Die Herberge, die ich angesteuert hatte, stand auch noch da, nur: Sie war seit Jahren geschlossen. Kein Schild, keine Info, keine Alternative in Sichtweite.
Also hieß es: weiterlaufen, nach Alternativen suchen, eine Lösung finden. Mit müden Beinen und wachsender Unsicherheit.
Was ich an diesem ersten Abend gelernt habe? Dass Pläne hilfreich sind – aber nicht zuverlässig. Und dass man immer ein kleines Polster braucht: an Energie, an Zeit, an Optionen. Flexibilität ist eine Grundvoraussetzung um ans Ziel zu kommen, vor allem wenn das Ziel noch nicht wirklich bekannt ist.
Der Gewaltmarsch und die Blase
Am Abend traf ich einen jungen Mann in einer anderen Herberge in San Sebastian, der voller Energie direkt einen Gewaltmarsch über die Pyrenäen hingelegt hatte. Etwa 30 Kilometer mit starkem Anstieg – und am Abend eine massive Blase unter dem Fuß. In den Tagen danach war er kaum noch gehfähig. Seine Motivation ist etwas über das Ziel hinausgeschossen, ohne Rücksicht auf seine Belastbarkeit hatte er sich selbst aus dem Spiel genommen. Rückblickend bin ich ihm dankbar für eine Erfahrung, die ich nicht selbst machen musste – weil ich mein Tempo am nächsten Tag erst einmal ein wenig reduziert habe.
Der eigene Rhythmus braucht Zeit
In den nächsten Tagen trieb mich immer noch der Wunsch an, möglichst schnell voranzukommen. Ich wusste, dass drei Wochen nicht ausreichen würden, um den gesamten Weg zu gehen – das war rational klar. Und doch spürte ich einen unterschwelligen Drang, mir selbst etwas zu beweisen.
Die anfänglichen Ratschläge erfahrener Pilger, man solle auf den eigenen Körper hören und sein eigenes Tempo finden, habe ich zwar nicht ignoriert – aber es hat eine Weile gedauert, bis ich dieses „Zuhören“ bei mir selbst wirklich zugelassen habe. Erst dann konnte ich erkennen, wann es angebracht war, ehrgeizig voranzugehen, und wann es klüger war, realistisch zu bleiben – um so einen Rhythmus zu finden, der am Ende wirklich nachhaltig war.
Die Poststation für überflüssiges Gepäck
Irgendwann traf ich eine Pilgerin wieder, die mir schon früher bei einem kräftezehrenden Anstieg aufgefallen war – sie hatte sich sichtlich schwergetan, wir hatten uns im Vorbeigehen kurz gegrüßt. In dem Ort suchte sie ein Postamt. Sie hatte am Anfang Wasserfilter, Isomatte und allerlei „für alle Fälle“-Ausrüstung dabei. Nach wenigen Tagen war klar: Vieles davon würde sie nie brauchen. Also wollte sie es nach Hause schicken um es nicht weiter tragen oder wegwerfen zu müssen. Mit dem Gedanken es einfach irgendwo an Wegesrand liegen zu lassen, hatte Sie bereits gespeilt.
Temporäre Teams
Auf dem Weg bilden sich immer wieder spontane Gruppen: Menschen mit ähnlichem Tempo, ähnlichen Interessen oder Biografien. Man geht ein Stück gemeinsam, macht zusammen Pausen und isst gemeinsam. Und irgendwann trennen sich die Wege wieder – weil einer schneller gehen möchte, jemand anders eine Pause braucht oder die Einsamkeit bevorzugt. Diese Übergänge passieren ganz selbstverständlich. Ohne Drama, ohne Abschiedsszenen. Man begegnet sich, lernt voneinander – und geht weiter.
Es gibt noch viele Anekdoten an die ich mich gerne erinnere und ich hoffe das in Zukunft noch viele dazu kommen. Der Jakobsweg bringt einen dazu, immer wieder innezuhalten, zu beobachten und sich anzupassen – nicht einmal, sondern Tag für Tag. Er zeigt, dass es nicht darum geht, von Anfang an den perfekten Plan zu haben, sondern unterwegs klug zu reagieren. Dass es nicht auf Vollständigkeit ankommt, sondern auf das, was tatsächlich trägt. Wer zu viel mitschleppt – materiell wie gedanklich – merkt schnell, wie lähmend Ballast sein kann.
Der Weg lehrt, dass Orientierung wichtiger ist als Kontrolle, dass der eigene Rhythmus nicht durch Vorgaben entsteht, sondern durch Erfahrung, Iteration und Aufmerksamkeit. Dass echte Fortschritte oft nicht in der geradlinigen Route liegen, sondern in Umwegen, in Begegnungen und im Loslassen unnötiger Ziele. Und dass Zusammenarbeit dann am besten funktioniert, wenn sie freiwillig, temporär und zweckorientiert geschieht.
Am Ende ist der Jakobsweg vielleicht keine perfekte Metapher für agile Arbeitsweisen – aber eine ziemlich gute Schule für das, worauf es wirklich ankommt: Klarheit, Fokus, Anpassungsfähigkeit. Und die Bereitschaft, den Weg selbst zum wichtigsten Teil des Ziels zu machen.
Ein Hinweis:
Wer mit Typografie zu tun hat weiß: ein Gedankenstrich ist etwas länger – genauer: ein Halbgeviert – als der normale Divis-Strich! Korrekte Satzzeichen sind kein sicheres Indiz für KI-generierten Content ; )